Η
ΦΩΝΗ ΣΟΥ
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Ökonomien des Krieges vonThomas
Seibert
Entwicklungspolitik,
Entwicklungszusammenarbeit und international(istisch)e Solidarität hatten
immer schon damit zu tun, daß die sozialen Verhältnisse des sog. Südens
in einem extremen Maß gewaltdurchherrschte Verhältnisse sind: bestimmt
durch die Gewalt der kolonialen Ausbeutung, der antikolonialen
Befreiungskämpfe, des materiellen Elends und die daraus resultierende
alltägliche, oft spezifisch sexistische Gewalt.
Bis in die frühen 90er Jahre hinein waren die Kriege in Afrika, Asien und
Lateinamerika Teil der von der Drohung des Nuklearkriegs überschatteten
Blockkonfrontation. Antikoloniale Befreiungsbewegungen kämpften um
nationale Unabhängigkeit bzw. für den Sturz diktatorischer Regime. Um den
Preis der Einordnung in dessen machtpolitisches Kalkül wurden sie dabei
durch den staatssozialistischen Block unterstützt. Um den sowjetischen
Einfluß zu hemmen, rüsteten die westlichen Staaten die von den
Befreiungsbewegungen bekämpften Diktaturen oder Organisationen der
Konterguerilla auf. Eine dritte Position nahm die Bewegung der
"blockfreien Länder" ein, in der dem Jugoslawien des Marschall
Tito eine führende Rolle zukam. In allen diesen Konflikten war nie
eindeutig auszumachen, in welchem Maß sie Befreiungskämpfe und in welchem
Maß sie Stellvertreterkriege der Systemkonkurrenz waren.
Das Ende der Blockkonfrontation wurde zunächst als Beginn einer
Friedensepoche begrüßt: auf die heißen Kriege im kalten Krieg sollte der
weltweite Sieg von Demokratie, Entwicklung und Zivilität folgen. Knappe
zehn Jahre später ist von diesem Optimismus nichts geblieben. Statt
globaler Demokratisierung und Zivilisierung breiten sich weltweit
militärische Konflikte aus, die zunehmend jeder Kontrolle entgleiten.
Allein in Afrika tobten schon Ende der 90er Jahre nicht weniger als 15
flächendeckende militärische Konflikte. Der wesentliche Unterschied der
neuen Kriege aber ist, daß emanzipatorische Parteien und
Entwicklungsperspektiven kaum noch auszumachen sind.
Was chaotisch zu sein scheint, entwickelt sich nicht ohne eigene Logik.
Hintergrund ist der sog. "Globalisierungsprozeß", der eben gerade
nicht alle Länder der Welt in einen umfassenden politisch-ökonomischen
Raum integriert, sondern primär ausschließenden Charakters ist.
Tatsächlich muß eher von einer "Archipelisierung" der Welt
gesprochen werden. In deren Verlauf werden die noch prosperierenden Zonen
der Weltmarktproduktion von wachsenden Gebieten umschlossen, die von der
Dynamik des Weltmarkts abgekoppelt werden. Dabei sind mittlerweile nicht nur
der Staatssozialismus sowjetischen Modells, sondern nahezu sämtliche
Strategien "nachholender Entwicklung" gescheitert. Während vielen
Ländern des Südens und des Ostens jede eigenständige
Entwicklungsperspektive genommen wird, schließen sich die des Nordens in
einem System zusammen, in dem der Waren-, Dienstleistungs-, Informations-
und Kapitaltransfer von allen staatlichen Grenzen und Beschränkungen
entbunden wird. Dabei sichern die Staaten des Nordens ihre Macht über ein
immer enger verwobenes Geflecht supranationaler Institutionen (G7, IWF,
Weltbank, OECD, WTO und NATO). Bedroht wird die Dominanz der G7-Staaten
allein von innen her: Die "Neue Weltordnung" ist zwar insoweit
"unipolar", als die Führungsmacht USA seit dem Zusammenbruch der
Sowjetunion von keiner anderen Macht der Welt ernsthaft bedroht werden kann.
De facto aber zerfällt das eine Machtzentrum in eine aus den USA, der EU
und Japan gebildete "Triade". Deren Mitglieder sind zwar zur
Sicherung ihrer gemeinsamen weltweiten Dominanz aufeinander angewiesen,
stehen strukturell aber in Konkurrenz zueinander.
Der vom dominanten Staatenblock und den mit ihm alliierten transnationalen
Konzernen vorangetriebene Globalisierungsprozeß hat im Verlauf der letzten
zwei Jahrzehnte zu einer historisch nie zuvor gekannten Verarmung von
Millionen, zur Desintegration ganzer Gesellschaften und zu einer
Massenmigration täglich wachsenden Ausmaßes geführt. Während nach dem
neuesten Bericht bspw. der Interamerikanischen Entwicklungsbank ein Drittel
der lateinamerikanischen Bevölkerung, das sind 150 Millionen Menschen, von
weniger als 2 Dollar täglich leben müssen, konzentrieren sich 40% des
Bruttosozialprodukts in der Hand von 1% der Bevölkerung. Die Kaufkraft
eines durchschnittlichen lateinamerikanischen Gehalts ist um 27% niedriger
als 1980. In Asien und Afrika ist die Lage z.T. noch dramatischer. Nach dem
Jahresbericht des UNDP von 1998 übertrifft der Reichtum der drei reichsten
Männer der Welt das Bruttoinlandsprodukt der 48 ärmsten Länder der Welt.
70% der weltweiten Investitionen und des Welthandels werden von den 200
größten transnationalen Konzernen kontrolliert. Dafür findet der
vielgepriesene "freie" Markt im untersten Segment der Welt gar
nicht mehr statt. Der Anteil der ärmsten 20% der Weltbevölkerung an
Produktion, Auslandsinvestitionen, Export und Kommunikation liegt bei unter
1%, während der Anteil der reichsten 20% der Weltbevölkerung bei 70-90%
liegt. Diese Entwicklung findet ihre letztlich nicht mehr zu überbietende
statistische Konkretion in der durchschnittlichen Lebenserwartung. Während
sie zwischen 1975 und 1997 in den 31 reichsten Ländern der Welt um ein
Fünftel gestiegen ist, fiel sie im selben Zeitraum in 18 Ländern der Welt,
und zwar in 10 Ländern Afrikas und 8 Ländern der ehemaligen Sowjetunion
bzw. Osteuropas. Am drastischsten fiel diese Entwicklung in Afrika aus, wo
die durchschnittliche Lebenserwartung in Botswana von 52 auf 47, in Simbabwe
von 51 auf 44, in Sambia von 47 auf 40 Jahre gesunken ist (vgl. UNDP-Bericht
über die menschliche Entwicklung).
Der zentrale Mechanismus, über den die Ausbeutung und zugleich der
Ausschluß des Südens und des Ostens beständig reproduziert werden, ist
die Verschuldung, die von weniger als 100 Milliarden Dollar im Jahr 1970 auf
über 2000 Milliarden Dollar im Jahr 1997 angestiegen ist. Da allein der
Schuldendienst oftmals zwischen 30% und 50% ihrer Staatsbudgets frißt, sind
die Entwicklungsstaaten fortlaufend auf neue Kredite angewiesen, wenn sie
ein Minimum an Handlungs- und Planungssouveränität bewahren wollen. Der
dominante Staatenblock und der von ihm kontrollierte IWF aber binden neue
Kredite an knallhart neoliberale "Strukturanpassungsprogramme".
Diese zwingen die Entwicklungsstaaten zum fortlaufenden Abbau ihrer ohnehin
unzureichenden sozialstaatlichen Einrichtungen und zugleich zum Ausverkauf
der Filetstücke ihrer Volkswirtschaften an die transnationalen Konzerne.
Weil die vor allem für Afrika, aber eben nicht allein für Afrika
kennzeichnenden neuen Kriege ein unmittelbares Resultat dieses Prozesses
sind, möchte ich sie im folgenden als "Ökonomien des Krieges"
beschreiben, d.h. als eine eine neue Weise, in der Gesellschaften ihre
Produktion und Reproduktion regulieren. Ich werde dies in drei Hinsichten
tun:
in Hinsicht auf Afrika als
den Sonderfall, der wohl eher zum Modellfall werden wird
in Hinsicht auf den für uns naheliegendsten Fall, den Fall Jugoslawien
und in Hinsicht auf den Überfall der NATO auf Jugoslawien und die
Perspektiven, die sich aus ihm ableiten lassen.
Der Sonderfall, der keiner
ist: Afrika
Der Zusammenbruch der Entwicklungsstaaten der sog. "Dritten Welt"
fällt nirgendwo drastischer aus als in Afrika. Immer wieder berichten die
Massenmedien über großflächige ethnische Säuberungen und scheinbar
grund- und ziellose Massaker im Rahmen zahlloser Auseinandersetzungen:
Angola, Äthiopien, Kongo, Ruanda, Somalia, Sudan, Sierra Leone und, und
und. "Erklärt" wird dies durch ein weit verbreitetes
ethnizistisches bzw. rassistisches Deutungsmuster, nachdem unterschiedliche
ethnische Gruppen in der Enge eines einzelnen Nationalstaats eben nicht
miteinander "könnten" und deshalb früher oder später
übereinander herfallen müßten. Die besondere Grausamkeit der
afrikanischen Kriege wird dann ebenso schlicht wie einleuchtend mit der
grausamen Natur ‘des’ Afrikaners erklärt. Zu deren Erläuterung dienen
Berichte über den moralischen Verfall "macht- und blutgieriger
Potentaten" wie etwa des ugandischen Diktators Idi Amin oder des
zentralafrikanischen Kaisers Bokassa I. Solcherart "Aufklärung"
wirkt umso überzeugender, wenn der Tyrann sich früher als
"Marxist" bezeichnete und seine Opfer - wie gegenwärtig der
simbabwische Diktator Robert Mugabe - vornehmlich unter der weißen
Bevölkerungsminderheit aussucht. Ergänzt wird die massenmediale
Desinformation durch die einander in einer Art Hitparade der Katastrophe
ablösenden humanitären Interventionen, in denen die Rettung ausgehungerter
schwarzer Babys durch weiße Hubschrauberpiloten alle Vorurteile bestätigt,
die ein durchschnittlicher Mitteleuropäer sowieso schon über "den
Neger" hegt.
Wahr ist daran immerhin, daß die Verelendung der meisten afrikanischen
Staaten so weit vorangeschritten ist, daß über humanitäre Hilfseinsätze
verteilte Güter zu einem wesentlichen Moment ihrer Ökonomie geworden sind.
Tatsächlich aber resultiert die afrikanische Krise aus der besonderen
Geschichte der Dekolonisierung Afrikas - und natürlich, was ich hier nicht
ausführen kann, schon aus der durch rücksichtslose Rohstoffausplünderung
und Sklavenhandel dominierten Kolonialgeschichte. Die afrikanischen
Entwicklungsstaaten haben zu keiner Zeit die Souveränität erreicht, die
bspw. die lateinamerikanischen Staaten erreichen konnten; nicht wenige
Politologen bezeichnen sie deshalb grundsätzlich lediglich als
"Quasi-Staaten" (vgl. Peter Lock 1997). Deren Kern waren von
vorneherein Armee und Polizei. Die Offizierskorps stammten größtenteils
aus den kolonialen Machtapparaten. Formell unabhängig geworden, bestand
ihre "Politik" aus der privaten Aneignung der Erträge der
Exportwirtschaft. Extraprofite verschafften sie sich durch planmäßige
Ausnutzung der strategischen Rivalitäten der Blockkonfrontation; die dabei
eingeworbenen Ressourcen kamen wiederum ihrem Privatvermögen sowie den
Apparaten von Militär und Polizei zugute. Um sich ein Mindestmaß an
politischer Legitimation zu verschaffen, etablierten sie ein nach
Clanzugehörigkeit ausgerichtetes klientelistisches Versorgungssystem. Da
andere staatliche Institutionen kaum ausgebildet wurden, blieben die lokalen
Strukturen der Clangesellschaft die einzig verläßliche Ressource für
Vertrauen, Gerechtigkeit und soziale Sicherheit. Insofern blieb der
afrikanische Entwicklungsstaat gegenüber der eigenen Bevölkerung
"eine antagonistische Partei, die ausschließlich die Interessen einer
an der Macht befindlichen Minderheit verfocht" (Lock a.a.O.).
Mit dem Ende der Blockkonfrontation geriet dieses
"Entwicklungsmodell" in die Krise. Im Kampf um die Restressourcen
ihrer heruntergewirtschafteten Länder spalten sich die Führungseliten, die
amtierenden Regimes und in der Regel von unterlegenen Konkurrenten geführte
"Rebellenbewegungen" nehmen die eigene Bevölkerung zur Geisel.
Gleichzeitig stellt der bankrotte "Quasi-Staat" die Soldzahlungen
an Militär und Polizei ein, die Truppen versorgen sich durch marodierende
Überfälle auf die Bevölkerung. Dabei geht das Gewaltmonopol vom
"Staat in Auflösung" auf warlords über, die in "ihren"
Gebieten teilweise offen sklavenhalterische Produktionsregime errichten. Da
in vielen afrikanischen Ländern mehr als die Hälfte aller Jugendlichen
erwerbslos sind, brauchen sich weder die regulären noch die irregulären
Truppen um Zulauf Sorgen zu machen: der Dienst in der Armee oder in den
Banden der warlords ist für große Teile der männlichen Bevölkerung zur
einzigen Verdienstquelle - und zwar gleichgültig, ob der Erwerb aus
Soldzahlungen oder aus unmittelbarem Raub stammt. Überhaupt wird die
räuberische Aneignung der Mittel des Überlebens - einschließlich der
räuberischen Aneignung von Frauen - zur Grundlage der gesellschaftlichen
Reproduktion. Zwischen diesen mehr als unübersichtlichen Fronten kommt
privaten Söldnerarmeen als einer auf eigene Rechnung operierenden
"Dritten Kraft" eine immer wichtigere Rolle zu.
Das aber heißt: Der Krieg ist in
den afrikanischen Gesellschaften nicht mehr die irreguläre Unterbrechung
der friedlichen Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens, sondern eine
eigengesetzlich regulierte "Ökonomie des Bürgerkriegs" (J. Rufin)
geworden. Natürlich waren Kriege immer schon auch ein Geschäft, und
natürlich wurden Kriege immer schon wesentlich aus ökonomischen Gründen
geführt. Die neueren afrikanischen Kriege aber sind gar nichts anderes mehr
als eine auf Dauer gestellte Form der Ökonomie.
Ein Beispiel dafür ist die
Volksrepublik Angola, aufgrund ihrer Bodenschätze virtuell das
viertreichste Land der Welt. Nach der Befreiung von der portugiesischen
Kolonialherrschaft rüsteten die USA und Südafrika die ursprünglich
maoistische Guerillaorganisation UNITA zur Konterguerilla gegen die
regierende MPLA auf, die einen pro-sowjetischen Kurs verfolgte und besonders
von Kuba unterstützt wurde. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg ruinierte das
Land, es entstand eine vollkommen durchmilitarisierte Gesellschaft, in der
eine zivile Entwicklung schon allein durch die Millionen von Minen
verhindert wird, die den Gang aufs Feld oder zur nächsten Wasserstelle zum
lebensgefährlichen Unternehmen machen. Was überhaupt an ziviler
Infrastruktur bestand, ist längst zerstört. MPLA und UNITA sind zu
Organisationen degeneriert, die die räuberische Aneignung des Reichtums
durch ihre Führungseliten und die schreckensherrschaftliche Unterwerfung
einer verelendeten und traumatisierten Bevölkerung sichern.
Seit 1961 hat dieser Krieg über 500.000 Menschen das Leben gekostet,
Zehntausende sind nach Minenunfällen verkrüppelt. 65% der Bevölkerung
leben in absoluter Armut, täglich verhungern 200 Menschen. 11 Millionen
Menschen mussten infolge von Kriegshandlungen fliehen oder wurden
vertrieben.
Mit dem Ende der Blockkonfrontation entfiel auch die Alimentierung durch die
jeweiligen Hintermächte. Die UNITA finanziert sich seither durch die unter
sklavenhalterischen Bedingungen organisierte Ausplünderung der
Diamantenvorkommen Angolas. Zwischen 1992 und 1998 erzielte sie Gewinne in
Höhe von mindestens 3,7 Milliarden US-Dollar, der Großteil wird auf den
Märkten Europas realisiert.
Umgekehrt finanziert sich die MPLA durch den Ölexport. Angola verfügt
vermutlich über die größten Erdölvorkommen der Welt, die Gewinne machen
94% der Exporterlöse aus, täglich wird Öl im Wert von 11 Millionen
US-Dollar gefördert. Da die Regierung aufgrund ihrer gigantischen
Rüstungseinkäufe hochverschuldet ist, verpachtet sie das Erdöl im Voraus
und finanziert sich so durch die erwarteten Erlöse der Zukunft.
Hauptabnehmer sind Exxon, Chevron und Elf Aquitaine.
An der Seite der Großkonzerne und der warlords sichern private
Söldnerarmeen die Kontrolle über die Bodenschätze. Marktführer war lange
Zeit die südafrikanische Sicherheitsagentur Executive Outcomes (EO),
deren Angebotspalette sämtliche militärischen Dienstleistungen umfaßt,
die im Bodenkrieg anfallen. 1994 eroberten die aus den Reihen der
berüchtigten Koevot-Spezialeinheiten der früheren Apartheidarmee
rekrutierten Söldner die Diamantenzentren Saurimo und Cafunfo von der UNITA
zurück. Nutznießer war hier wie anderswo der Diamantenkonzern De Beers
sowie die Firma Diamond Works, an der die Söldner selbst beteiligt sind.
1995 erzwang US-Präsident Clinton die Kündigung der Verträge mit EO, die
daraufhin von der amerikanischen Söldneragentur MPRI übernommen wurden,
die in engster Verbindung zum Pentagon steht.
Hier zeichnet sich ein neoliberalen
Ordnungsvorstellungen angemessener Neo-Kolonialismus in
public-private-partnership ab, dem es um die fortgesetzte Ausbeutung der
Bodenschätze - Diamanten, Öl, Kupfer - und zugleich um eine
quasi-polizeiliche Kontrolle über die warlords geht, denen die Mehrheit der
Menschen solange überlassen werden, wie sie sich im Ernstfall dem Kommando
des Weltmarktes fügen.
Daß dies so bleibt, dafür sorgen
nicht zuletzt die Rüstungskonzerne der Staaten des Nordens und der
internationale Waffenhandel. 1998 wurde mehr als ein Drittel des
afrikanischen Bruttosozialprodukts für den Erwerb von Waffen ausgegeben.
Nimmt man zu dieser Summe die Aufwendungen hinzu, die zur Tilgung der
Schuldenlast erbracht wurden, und schließlich die Beträge, die ins
Privatvermögen der Machteliten abflossen, hat man eine plastische
Vorstellung von dem verschwindend geringen Anteil des gesellschaftlichen
Reichtums, der der Sozial-, Bildungs-, Gesundheits und Umweltpolitik, mithin
der Entwicklungspolitik, zur Verfügung steht.
Der Fall Jugoslawien
Vorgeblich um der terroristischen Vertreibungspolitik Einhalt zu gebieten,
mit der das Belgrader Regime und seine Milizen Hunderttausende Menschen in
die Flucht trieben, bombardierten die dominierenden Staaten des Nordens 1999
elf Wochen lang Serbien und das Kosovo. Dabei zerstörte die allen anderen
Kriegsparteien unendlich überlegene Militärmaschinerie der NATO die Reste
der serbischen Industrie und weite Teile der ökonomischen und sozialen
Infrastruktur Restjugoslawiens. Weil der Terror der serbischen Milizen, der
Gegenterror der UCK und das Bombardement der NATO-Luftwaffe täglich mehr
Menschen zur Flucht in die selbst zutiefst destabilisierten Nachbarstaaten
zwang, konnten die Kampfhandlungen nur fortgesetzt werden, wenn sich NGOs
der insgesamt rund 680.000 Flüchtlinge annahmen: den "Grenzverkkehr"
überwachten, die Menschen sammelten, erfassten und in die Lager geleiteten,
die in enger Abstimmung mit dem Militär angelegt wurden. In den Lagern
mußte Unterkunft geschaffen, die Nahrungsmittelversorgung gesichert,
medizinischer Beistand geleistet werden. Ohne die Übernahme
quasi-staatlicher Funktionen in der Versorgung und mithin der Sistierung und
Kontrolle der Flüchtlinge durch die NGOs wäre das wochenlange
Flächenbombardement nicht durchzuhalten gewesen, wäre sofort sichtbar
geworden, zu welch katastrophalen Folgen die "humanitäre
Intervention" geführt hatte. Mit den abend für abend live gesendeten
Bildern aus den Lagern aber, wo NATO- und NGO-Personal Schulter an Schulter
um die Rettung der Opfer kämpften, fügte sich das Elend in die
militärhumanistische Propaganda ein: Jetzt mußte schneller und mehr
gebombt werden, um die einmal angefangene Sache zuende zu bringen.
Im Kosovo richtete die NATO schließlich ein Protektorat ein, dessen
Statthalter sich die Macht mit den Bandenchefs der UCK teilen. Diese
einstmals maoistisch ausgerichtete "Befreiungsarmee des Kosovo"
war jahrelang eine unbedeutende Splittergruppe, verstrickte sich in den
Drogenhandel, wurde kurz vor Kriegsbeginn massiv aufgerüstet und vor allem
auf Betreiben der USA politisch hoffähig gemacht - auf Kosten der bis dahin
führenden, im Unterschied zur UCK jedoch an einer nicht-militärischen
Lösung interessierten Organisationen der albanischen Zivilgesellschaft.
Nach Kriegsende sollte die UCK eigentlich sofort abgerüstet werden. Jetzt
ist sie ein polizeiliches "Hilfskorps" der Besatzungstruppen und
erwiesenermaßen verantwortlich für die nun gegen SerbInnen und Roma
gerichteten ethnischen Säuberungen. Ausgebildet wird das
"Hilfskorps" vor allem von der "International Organisation on
Migration" (IMO), einer in Genf ansässigen und für "Migrationspolitik"
zuständigen Unterabteilung der EU-Bürokratie. Die politischen Kader der
UCK haben sich vor allem der im Aufbau begriffenen örtlichen Verwaltungen
bemächtigt. Während ihr offizielles Ziel ein großalbanischer Staat ist,
spielt ihr Interesse an der einzig "zukunftsfähigen" Branche der
zuerst niederkonkurrierten und dann zerbombten Wirtschaft des Landes - der
Drogenökonomie - eine nicht unwesentliche Rolle. Das macht sie gewiß nicht
schlechter als die Milosevic-Clique und andere Machteliten des ehemaligen
Jugoslawien, zeigt aber, wie es im NATO-Schutzgebiet um so hehre Werte wie
"nachhaltige Entwicklung" und "demokratische Zivilität"
bestellt ist.
Der Krieg um das Kosovo war der bisherige Höhepunkt einer ganzen Folge von
Kriegen und ethnischen Säuberungen, zu deren Erklärung nicht zufällig
dasselbe rassistische Deutungsmuster verwendet wird, das schon die
afrikanische Bürgerkriegsökonomie erläutern soll. Nur daß diesmal nicht
der Blutdurst des "Negers", sondern die Mordlust ‚des‘
Balkanesen und insbesondere die ‚des‘ Serben zur ultima ratio der
ethnischen Säuberung avanciert.
Sucht man eine andere Erklärung, muß man auf das Jahr 1980 zurückgehen,
das Todesjahr Titos und zugleich das Jahr, in dem die politische Führung
den Bankrott des jugoslawischen Staatsssozialismus offen eingesteht. Dessen
Grundprinzip hatte in der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums vom
industrialisierten Norden in den agrarischen Süden bestanden - dasselbe
Prinzip übrigens, das Jugoslawien als Führungsmacht der blockfreien
Bewegung auch international durchsetzen wollte. Solange diese Politik
umsetzbar war, blieben zwar Verteilungskonflikte nicht aus, konnten jedoch
durch die Zentralregierung ausbalanciert werden. In den 60er Jahren führt
dies sogar zu einer begrenzten Demokratisierung der föderativen Struktur,
in deren Zug 1974 auch dem Kosovo als Provinz der Republik Serbien Autonomie
gewährt wurde.
Kurz darauf aber beginnt die durch eine bescheidene, aber stetige Zunahme
des Massenwohlstands gezeichnete Industrialisierungs- und
Modernisierungsbewegung zu stagnieren. Die Krise verschärft sich, als sich
Jugoslawien dem Westen und damit der Konkurrenz des Weltmarkts öffnet. Wie
andere Entwicklungsstaaten auch unterliegt Jugoslawien den
Weltmarktbedingungen, die Hoffnung auf eine "nachholende" oder gar
"einholende Entwicklung" erweist sich als Illusion, die unter
einer zunehmenden Schuldenlast zusammenbricht. Diese Situation verschärft
sich in den achtziger Jahren. Der IWF unterwirft Jugoslawien einer
"Strukturanpassungspolitik", die von der Zentralregierung nur
durch rigorose Angriffe auf den Massenwohlstand durchgesetzt werden kann.
Die Folge ist ein immer heftigerer sozialer Widerstand. In den Jahren 1986
bis 1988 kommt es in allen Teilrepubliken zu ausgedehnten Streiks. Der
Widerstand der ArbeiterInnen verschärft die Krise und bedroht das
komplizierte Machtgefüge der föderativen Republik. Bemerkenswert aber ist,
daß jedenfalls in der ArbeiterInnenbewegung dieser Zeit - also Ende der
achtziger Jahre - nationalistischen Tendenzen kein größerer Einfluß
zukommt: Die Kämpfe werden als autonome soziale Kämpfe gegen den Staat und
die Bürokratie geführt.
Dies ändert sich erst, als mit der fortlaufenden Schwächung der
Staatsmacht die regierenden Eliten in den Teilrepubliken bewußt die
"nationale Karte" ausspielen und die Krise propagandistisch auf
die Umverteilungsdynamik innerhalb der jugoslawischen Föderation
zurückführen. Dabei widersetzt sich der slowenische und kroatische
Nationalismus dem Abfluß eigener Mittel in den Süden, während sich
Serbien zum Verteidiger der Einheit Jugoslawiens macht und die ökonomische
Schwäche durch seine politisch-militärische Überlegenheit ausgleicht. Da
die nationalistischen Spaltungen auch im Süden um sich greifen, kämpft der
von Milosevic repräsentierte serbische Nationalismus bald gegen die
herrschenden Eliten aller anderen Republiken.
Die westlichen Staaten wiederum reagieren zunächst keinesfalls einheitlich:
Deutschland erzwingt die Anerkennung der Sezession Sloweniens und Kroatiens
gegen Frankreich und England, die ihrerseits auf den serbischen Pol setzen.
Die erste großflächige "ethnische Säuberung" geht von
kroatischer Seite aus und führt zur Vertreibung von Hundertausenden Serben
aus der Krajina. Im Resultat aber - und dies ist entscheidend! - gelingt den
verbündeten und verfeindeten Staatseliten gemeinsam die Umkehrung des
sozialen Massenwiderstands gegen die neoliberale Strukturanpassung:
Gesellschaftliche Auseinandersetzungen und Klassenkämpfe werden in sog.
"ethnische Konflikte" umgedeutet und - entscheidend zuletzt - von
den Beteiligten auch so wahrgenommen. Tatsächlich aber ist der
ethnizistische Terror nicht der Ursprung, sondern das Resultat einer Krise,
in der die einzige Ökonomie, von der man sich Überlebenschancen
verspricht, die Ökonomie des Bürgerkriegs ist.
Dies verbindet die jugoslawischen
mit den afrikanischen Kriegen. Die ihnen zugrundeliegende Logik gilt
tendenziell und perspektivisch auch für alle anderen vom
Globalisierungsprozeß ausgeschlossenen Weltregionen. Auch hier ist ein
halbwegs gesichertes Überleben paradoxerweise nur um den Preis einer
zunehmend gewaltbestimmten "Verwilderung der Konkurrenz" (Robert
Kurz) möglich, deren ideologischer Ausdruck Ethnizismus, Nationalismus und
Rassismus sind. Umgesetzt wird dies durch Raub auf allen Ebenen und durch
einen gegenseitigen Terror, der jede Zivilität untergräbt. Dabei besteht
die Restrationalität des zwischen den regierenden
"Lumpenbourgeoisien" (Boris Kagarlitzky), ihren warlords und deren
Banden ausgetragenen Kampfes in der Ausschlachtung der
Modernisierungsruinen, der Aneignung der verwertbaren Rohstoffe und der
Profite aus den wenigen joint ventures sowie in der Kontrolle über die
mafiotischen Schattenökonomien des Drogen- und Menschenhandels, der
Prostitution und des Tourismus. Spiegelbildlich kommt es auch in den unteren
Sektoren der Gesellschaft zur gewalttätigen Entfesselung der
Überlebenskonkurrenz, die in den Bandenkriegen der Kleinkriminellen und der
sozialen Gewalt des Alltags ausgefochten wird.
Die Kriegsökonomie des
Nordens
Daß die Bürgerkriegsökonomie der marginalisierten Weltregionen keine
exotische Angelegenheit ferner Länder ist, ergibt sich schon aus den
strukturellen Übereinstimmungen der afrikanischen mit den jugoslawischen
Kriegen, die beide ein Resultat des ausschließenden
Globalisierungsprozesses sind. Es ergibt sich aber auch aus der direkten
Verwicklung der NATO in Jugoslawien, der die Interventionen in den Irak und
in Somalia vorausgingen. Alle drei wurden zu "humanitären
Interventionen" im Namen der Menschenrechte stilisiert, jedesmal
operierten die NATO-Armeen und die ihnen angeschlossenen Kontingente anderer
Länder in einem quasi weltpolizeilichen Auftrag. Anläßlich ihres 50.
Jahrestags hat sich die NATO im April des vergangenen Jahres auch ganz
offiziell zur Weltpolizei mandatiert. Das dort verabschiedete neue
strategische Konzept geht von einem "breiten Spektrum militärischer
und nichtmilitärischer Risiken" aus, "die aus vielen Richtungen
kommen und oft schwer vorherzusagen sind" (Das strateg. Konzept des
Bündnisses. Presse- & Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin 24,
3. 5. 99, S. 222-231. Zit. n. ak 427). Dazu gehören: "Ungewißheit und
Instabilität im und um den euro-atlantischen Raum sowie die mögliche
Entstehung regionaler Krisen an der Peripherie des Bündnisses. (...),
ethnische und religiöse Rivalitäten, Gebietsstreitigkeiten, unzureichende
oder fehlgeschlagene Reformbemühungen, die Verletzung von Menschenrechten
und die Auflösung von Staaten (...). Sicherheitsinteressen des Bündnisses
können von anderen Risiken umfassender Natur berührt werden,
einschließliche Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten
Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen.
Die unkontrollierte Bewegung einer großen Zahl von Menschen, insbesondere
als Folge bewaffneter Konflikte, kann ebenfalls Probleme für die Sicherheit
und Stabilität des Bündnisses aufwerfen." Dieses wahrhaft globale
Bedrohungsszenario erfordert deshalb "militärische Fähigkeiten, die
für das gesamte Spektrum vorhersehbarer Umstände wirksam sind."
Hinfällig wird damit der § 5 des NATO-Vertrags, der das Bündnis auf den
gegenseitigen Beistand im Fall eines militärischen Angriffs auf einen
Bündnispartner beschränkte. Jetzt stehen sog. "Non-article 5 missions"
gleichberechtigt neben der "Bündnisverteidigung", und zwar ganz
ausdrücklich auch ohne Deckung durch die UNO oder die OSZE.
So wenig diese umfassende
Selbstmandatierung nach ihrem Selbstverständnis interpretiert werden darf
– als Pflicht zur "humanitären Intervention" im Namen der
Menschenrechte – so wenig kann sie nach der klassischen
Imperialismustheorie ausgelegt werden. Denn obwohl es dabei auch und
explizit um die nötigenfalls militärische Sicherung der – so wörtlich -
"Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen" geht, geht es definitiv nicht
mehr um die koloniale Aneignung von Territorien mitsamt ihrer Ressourcen und
der Arbeitskraft ihrer Bevölkerung oder die Schaffung von Einflußzonen im
Interesse nationalstaatlich organisierter Imperien.
Statt dessen muß nach dem
treffenden Ausdruck von Robert Kurz von einem "Sicherheits- und
Ausgrenzungsimperialismus" gesprochen werden. Dessen Definition
schließt sich trotz des offenbaren Unterschieds in der politischen
Bewertung im Kern an den Wortlaut des NATO-Strategiepapiers an: "Nicht
Eroberung und Eingemeindung wird angestrebt, um sich bestimmte Ressourcen
(schon gar nicht menschliche) unter den Nagel zu reißen. Im Gegenteil
bezieht sich die strategische Orientierung darauf, dem System die als
bedrohlich erlebte ungeheure Massierung der ‚Überflüssigen‘ in der
Peripherie vom Leib zu halten. Die von der universellen Marktwirtschaft
selbst erzeugten Katastrophen sollen möglichst draußenbleiben. Von diesem
Standpunkt aus müssen die Flüchtlingsströme vor den westlichen Grenzen
gestoppt und die Zusammenbruchsregionen auf Elendsniveau ‚befriedet‘
werden. Das implizite Ziel kann nur eine weltregional gestaffelte
Ausgrenzungshierarchie sein, die von einigen wenigen an NATO und EU
assoziierten Ländern (etwa vom Typus Ungarn) über einen Gürtel von
Satrapen- und Operettenstaaten (etwa vom Typus Kroatien) bis zu völlig
unselbständigen, von internationalen Organisationen oder Bandenkriegern ‚verwalteten‘
Protektoraten und ‚Homelands‘ (etwa vom Typus Kosovo) reichen und die
gleichzeitig eine Verelendungshierarchie bilden." (Robert Kurz, jw
5.5.99). Das Ziel des "Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus"
besteht letzten Endes in der Sicherung des Globalisierungsprozesses selbst
durch die Absicherung der Globalisierungsrisiken und die Kontrolle der
Globalisierungsverlierer. Hier erklärt sich dann auch die zunächst eher
metaphorische Rede von der weltpolizeilichen Selbstmandatierung der NATO.
Tatsächlich kann der Krieg gegen Milosevic wie zuvor schon die Kriege gegen
Saddam Hussein und den somalischen warlord Aidid nach dem Muster einer
Razzia verstanden werden, in der die Polizei ein von gangs beherrschtes
Stadtviertel "aufmischt". In einer solchen Aktion geht es gar
nicht darum, das betreffende Gebiet dauerhaft von gangstern zu säubern, um
seinen BewohnerInnen langfristig Ordnung, Sicherheit und Zivilität zu
bringen. Ziel ist vielmehr, demonstrativ klarzustellen, wer ein
"anständiger Bürger" und wer ein "Schurke" ist und wo
die Grenzen dessen liegen, was toleriert wird und was nicht. Der Schurke
soll nicht unbedingt beseitigt, sondern ihm muß verdeutlicht werden, daß
er letztlich von der Duldung durch die überlegene Staatsmacht bzw., im
globalen Zusammenhang, durch die sog. "internationale
Staatengemeinschaft" abhängt. Das beseitigt die Schurkerei nicht,
zeigt aber, wer zuguterletzt der "Herr im Haus" ist. Ziel ist
darüber hinaus die Sistierung der Elendsbevölkerung im eigenen Quartier,
d.h. die territoriale Abschottung der Wohnviertel der middle und upper class
bzw. - im Weltmaßstab gesehen - der noch prosperierenden Weltregionen. So
gesehen war die NATO erfolgreich, obwohl Milosevic so wenig wie Saddam oder
Aidid beseitigt werden konnte: Durchgesetzt wurde das polizeiliche Mandat
selbst, dessen Geltung mittlerweile von sämtlichen Regierungen
Südosteuropas und schließlich auch von der russischen Führung anerkannt
worden ist. Unterbrochen und vermutlich dauerhaft unter Kontrolle gebracht
ist vor allen Dingen die sog. "Südroute" der internationalen
Migrationsbewegung, die von Irakisch-Kurdistan über die Türkei Albanien
und Ex-Jugoslawien nach Italien und von dort ins Innere der "Festung
Europa" führte. Wer künftig vom Hafen Istanbul aus nach Europa will,
muß nun die sehr viel teurere und längere Route nehmen, die von Istanbul
auf dem Luftweg über die Ukraine, Polen und Tschechien führt. Insofern war
und ist der Kosovo-Krieg primär ein Krieg gegen die Flüchtlinge. Dessen
Fortsetzung mit anderen Mitteln ist das infame Aushungern derjenigen, denen
das Bleiberecht hier bislang noch nicht genommen werden konnte.
Was als globale Geopolitik der NATO-Staaten erscheint, ist nun allerdings
– und auch dies gehört zur Logik des Globalisierungsprozesses – von
inneren Spaltungen bedroht. Zwar ist die "Staaten- und
Wertegemeinschaft" der NATO zur Sicherung ihrer Dominanz auf eine
solche "global governance" angwiesen, doch wird die Gemeinsamkeit
durch die Konkurrenzkalküle des Globalisierungsprozesses unterwandert. Der
Krieg im Kosovo hat den europäischen Regierungen drastisch vor Augen
geführt, wie wenig sie der amerikanischen Übermacht entgegenzusetzen
haben. Denn während die USA den Krieg allein hätte führen können, war
die EU vollständig auf deren Unterstützung angewiesen. Die Unterlegenheit
auf dem Feld der militärischen Operation wie auf dem der Kriegstechnologie
und der Rüstungskapazitäten wirkte sich bis in die Festlegung der zu
bombardierenden Objekte aus, die von den Amerikanern ohne Anhörung der
europäischen Kommandostäbe bestimmt wurden.
Dem soll nun durch die sog. "Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik" (GASP) der EU begegnet werden. Deren Aufgaben
bestimmt der am 1. 5. 99 in Kraft getretene Amsterdamer Vertrag. Der Vertrag
sieht ausdrücklich "EU-Operationen ohne Rückgriff auf Mittel und
Fähigkeiten der NATO" vor und übersetzt so die Loslösung der NATO
von Mandaten der UNO in eine potenzielle Loslösung der EU vom Mandat der
NATO. Dabei muß sich die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, so
heißt es wörtlich im offiziellen Bericht der deutschen
EU-Ratspräsidentschaft der ersten Hälfte des Jahres 1999, "auf
glaubwürdige operative Fähigkeiten stützen können, wenn die EU in der
Lage sein soll, auf der internationalen Bühne uneingeschränkt
mitzuspielen" (Presse- & Informationsamt der Bundesregierung,
Bulletin 49, S. 533ff, zit. n. ak 433). In der Abschlußerklärung des
darauf folgenden Kölner EU-Gipfel heißt es dann: "Im Hinblick darauf
muß die Union die Fähigkeit zu autonomem Handeln, gestützt auf
glaubwürdige militärische Fähigkeiten, sowie die Mittel und die
Bereitschaft besitzen, deren Einsatz zu beschließen, um unbeschadet von
Maßnahmen der NATO auf internationale Krisensituationen zu reagieren."
(ebd., S. 532f.) Konsequenterweise hat derselbe Gipfel beschlossen, das
Verteidigungsbündnis der Westeuropäischen Union bis Ende des Jahres 2000
formell in die EU zu integrieren. Ausgebaut wird jetzt bereits aber nicht
nur die institutionelle, sondern auch die militärische Ebene: 50.000 bis
100.000 Soldaten will man zur schnellen Verfügung bereithalten, 300 bis 500
Flugzeuge und 15 Großkampfschiffe sollen den zu bildenden
Interventionstruppen auf Abruf an die Seite gestellt werden.
Wie dringlich der Umbau der europäischen Militärmaschinerie ist, zeigt die
hektische Debatte um die Empfehlungen der sog. Weizsäcker-Kommission, die
die konsequente Umwandlung der Bundeswehr von einer auf allgemeiner
Wehrpflicht aufbauenden territorialen Verteidigungsarmee zu einer
durchprofessionalisierten Interventionsarmee vorschlägt. Im Streit um
Abschaffung oder Beibehaltung der Wehrpflicht gerät ganz außer Sicht, daß
extraterritoriale Interventionen in aller Welt von nahezu allen Kontrahenten
befürwortet werden.
Dies alles wird nur finanzierbar sein, wenn die europäische
Rüstungsindustrie ihren Abstand auf die amerikanische Konkurrenz verringert
und ihre Produktionskapazitäten und mithin ihren Absatz entsprechend
erhöht. Ein von den sechs größten Rüstungsexportländern (Frankreich,
Großbritannien, Deutschland, Schweden, Spanien, Italien) unterzeichneter
letter of intent fordert dazu die "Elimination von Behinderungen"
der Rüstungsindustrie auf dem Gebiet des Nachschubs, der Forschung, der
Informationssicherheit, des Patentrechts und – der Exportbeschränkungen.
Darüber hinaus soll zur Realisierung gemeinsamer Entwicklungs- und
Beschaffungsprogramme im Bereich der Militärsatelliten-Systeme und der
Lufttransportkapazitäten eine "Europäischen Rüstungsagentur"
eingerichtet werden.
1997 betrugen die Rüstungsexporte in Länder der Dritten Welt ca. 46 Mrd
US-Dollar. Davon realisierten die USA etwa 45 %, gefolgt von Großbritannien
mit 18,5%, Frankreich 16%, dann Rußland, Israel, China, schließlich
Deutschland mit 1,6 % (Quelle IISS). Wie man sieht, sind für den
internationalen Handel mit Kriegsgerät nicht irgendwelche
"Schurkenstaaten" verantwortlich, sondern die USA und Westeuropa,
die zusammen 85% der Rüstungswelthandels kontrollieren. Unterdessen hat
sich Deutschland, so legen es neuere Zahlen nahe, auf Platz 4 vorgearbeitet.
Das scheint vielen im Land steigerungsfähig zu sein, zumal es potente
Abnehmer gibt, Saudi-Arabien z.B. mit jährlichen Rüstungsaufwendungen von
11 Mrd. Dollar, oder die VAE, Israel und Ägypten mit jeweils etwa 1 Mrd.
Dollar und schließlich die Türkei, die in den nächsten 25 Jahren für 150
Mrd. Dollar ihre Armee aufrüsten und modernisieren möchte.
Ein kurzer Blick auf all die Rüstungsexporte, die geplant, beantragt oder
bereits beschlossen sind, läßt unschwer erkennen, daß es sich bei dem
Testpanzer für die Türkei nur um die Spitze eines Eisberges handelt. Zu
diesen Waffentransfers zählen:
3 U-Boote (Howaldswerke) und 4 Korvetten (Blohm und Voss etc.) für
Südafrika im Werte von 3,6 Mrd. DM (in den nächsten sieben Jahren).
32 Alpha-Jet Jagdbomber und zwei gebrauchte U-Boote für die Vereinigten
Arabischen Emirate,
110 Gefechtsköpfe für die Panzerabwehrlenkwaffe Milan an Rumänien,
12 Hubschrauber an Südkorea,
26 Minenverlegesysteme Skorpion (inkl. AT-2 Panzerabwehrmine) an
Griechenland,
und für die Türkei, seit langem schon ein Schwerpunkt deutscher
Waffenlieferungen:
800-1000 Stück Transportpanzer Fuchs, 1000 Kampfpanzer Leopard II A5,
500.000 Stück HK33E Gewehre, 1.500 Granatwerfer Heckler & Koch, 145
Kampfhubschrauber "Tiger" aus deutsch-französischer Koproduktion,
6 Fregatten, 6 Minejagdboote, 4 U-Boote, 25 Transportflugzeuge (vermutlich
in Koproduktion mit Spanien), 80 Raketenabwehrsysteme von DASA.
Die vorgetragene Liste ist
längst nicht vollständig. Deutlich aber ist auch so schon:
Der Stopp der Rüstungsexportpolitik
ist ein erster Schritt des Widerstands gegen die weitere Militarisierung der
EU und die in sich konfliktive und auch insofern brandgefährliche
Kriegsökonomie des Nordens.
Ein Mittel dazu ist die Herstellung
unbedingter Transparenz. Die bisher im kleinen Kreis des
Bundessicherheitsrats gefällten Entscheidungen über den Export von
Rüstungsgütern müssen künftig vorab der Öffentlichkeit vorgelegt
werden. Sofern der Artikel 26 des Grundgesetzes vorschreibt, daß "zur
Kriegführung bestimmte Waffen nur mit Genehmigung der Bundesregierung
hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden" dürfen,
müssen schon die Pläne zur Herstellung von Kriegswaffen öffentlich zur
Disposition gestellt und der Prüfung der in Verfassung und Gesetzgebung
niedergelegten Kriterien unterworfen werden! Sehen wir zu, welches
Rüstungsgeschäft diese Prozedur übersteht – und wer in der Debatte
welche Position bezieht.
Deutlich geworden ist hoffentlich aber auch: Eine dringend notwendige neue
Friedensbewegung kann unter den Bedingungen der ausschließenden
Globalisierung nicht mehr einfach ‚nur‘ eine Friedensbewegung sein. Sie
muß statt dessen Teil einer sich diesem Prozeß im Ganzen entgegensetzenden
"Globalisierung von unten" sein. Die Proteste gegen den WTO-Gipfel
in Seattle und das Frühjahrstreffen von IWF und Weltbank in Washington
haben dafür ebenso erste weiterführende Perspektiven eröffnet. Anzumerken
bleibt allerdings, daß internationale Solidarität angesichts der
fortlaufend verschärften Lebensbedingungen nicht-deutscher Menschen hier im
eigenen Land beginnt.
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