METANASTIS
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Kosovo-/Jugoslawienkrieg
– Die Wahrheit muss ans Licht!
von Clemens Ronnefeldt,
Versöhnungsbundreferent
Knapp ein Jahr nach Beginn der Nato-Bombardierungen am
24.3.99 stellen sich im Rückblick eine ganze Reihe von Hauptmotiven der
Beteiligten in einem anderen Licht dar. Es nützt den Opfern wenig, wenn sich in
vielleicht 20- 30 Jahren die verantwortlichen Politiker dieses Krieges für ihre
Taten entschuldigen – wie dies z.B. Bill Clinton während seiner bisherigen
Amtszeit beim vietnamesischen oder chilenischen Volk getan hat. Was m.E.
ansteht, ist eine zügige Aufarbeitung, die einige grundlegende politische Paradigmenwechsel
in der politischen Großwetterlage klar herausarbeitet. Der nachfolgende Artikel
möchte einen Beitrag dazu leisten. Er ist bewusst als Zusammenstellung
glaubwürdiger Quellen angelegt, die weder in eine proalbanische noch in eine
proserbische „Ecke“ zu stellen sind und beschränkt sich auf überleitende,
zuspitzende Kommentierungen.
Die grundlegend falsche Annahme: Entweder
Völkermord oder Krieg
„Bei den Grünen gab es in einem wichtigen Punkt ein
intellektuelles Defizit: Sie sahen nur zwei Möglichkeiten: Entweder ethnische
Säuberungen oder Bombardements. Und das was falsch“, so der Friedensforscher
Johan Galtung in einem Interview über den Kosovo-/Jugoslawienkrieg (in: Jungle
World, 30.6.99). Insbesondere Joschka Fischer trieb mit der „Nie wieder Krieg
und nie wieder Auschwitz“-Parole seine Partei wie auch die Gemütslage weiter
Bevölkerungskreise in eine so den Realitäten nicht entsprechende Sackgasse –
vermutlich wider besseres Wissen.
Javier Solana zur Einhaltung des
Holbrooke-Milosevic-Abkommens
In einem immer noch – trotz Veröffentlichung („Die
Woche“, 2.7.99) – wenig bekannten Brief an den Militäreinsatzbefürworter Erhard
Eppler zitierte Dieter S. Lutz, Leiter des Hamburger
Friedensforschungsinstitutes (IFSH), einige Quellen, die die Bundesregierung
wie auch die NATO-Staaten insgesamt in einen Erklärungsnotstand bringen
könnten. Dieter Lutz: „Ich beginne mit dem Holbrooke-Milosevic-Abkommen vom 13.
Oktober 1998. Vierzehn Tage nach Abschluss dieser Vereinbarung ging
NATO-Generalsekretär Solana am 27. Oktober 1998 mit folgender Einschätzung an
die Öffentlichkeit: `Erfreulicherweise kann ich nun berichten, daß in den
letzten 24 Stunden mehr als 4.000 Angehörige der Sonderpolizei aus dem Kosovo
abgezogen worden sind. Die Sicherheitskräfte werden auf den Umfang abgebaut,
den sie vor dem Ausbruch der jetzigen Krise hatten. Ich fordere die bewaffneten
Gruppen der Kosovo-Albaner auf, den von ihnen erklärten Waffenstillstand
aufrechtzuerhalten´“.
Heinz Loquai, Brigadegeneral bei der OSZE, zur
OSZE-Mission
Lutz läßt den vormaligen, seinerzeit zuständigen
deutschen Brigadegeneral bei der OSZE in Wien, Heinz Loquai, ausführlich zu
Wort zu kommen: „Für die OSZE waren Rekrutierung und Stationierung einer so
großen Mission Neuland. Es gab daher Friktionen und Verzögerungen. Außerdem
wurden Entscheidungen in der von Briten und Amerikanern dominierten Mission
sehr langsam getroffen. So warteten zum Beispiel deutsche Beobachter mitunter
wochenlang, bis sie akzeptiert wurden. Die jugoslawischen Behörden mahnten sogar
eine schnellere Stationierung der OSZE-Mitarbeiter an, versprachen sie sich
davon doch auch eine Kontrolle der UCK. Und dennoch: Die sichtbare
internationale Präsenz an Brennpunkten des Geschehens trug zur Entspannung der
Lage bei, ließ die Flüchtlinge wieder in ihre Dörfer zurückkehren. Mitte
November wurden nur noch wenige hundert in einem Lager künstlich
zurückgehalten, um den Medien ein solches Camp vorführen zu können. Doch es gab
ein Problem, auf das anscheinend niemand vorbereitet war. Die UCK, die sich an
die Vereinbarungen nicht gebunden fühlte, rückte dort ein, wo die Jugoslawen
abgerückt waren. Von jugoslawischer Seite wurde wiederholt erklärt, wenn die
UCK weiterhin das geräumte Gebiet besetze, werde das zu Reaktionen führen. Der
deutsche Botschafter in Belgrad, Wilfried Gruber, appellierte an Bonn, den
deutschen Einfluß auf die Kosovo-Albaner geltend zu machen und den Worten auch
Taten folgen zu lassen. ...Aber die USA schienen ein militärischen Eingreifen
schon vor den Rambouillet-Verhandlungen fest im Blick zu haben. ... Fixpunkt
dabei war der Gipfel in Washington zur Feier des 50-jährigen Bestehens der
Allianz. Auf dieses strahlende Ereignis sollte nicht der Schatten eines
ungelösten Kosovo-Problems fallen. Deshalb schien es auch, vier Wochen vor dem
Fest, höchste Zeit zu sein, entschlossen zu handeln“ (in: Die Woche, 2.7.99).
In der FR-Dokumentation vom 22.9.99 („Die Chronik eines nicht verhinderten
Krieges“) wurde Heinz Loquai noch präziser: „Die Ereignisse zeigen, daß
durchaus Möglichkeiten für eine friedliche Lösung des Kosovo-Konfliktes
bestanden. Greifbar nahe war diese Chance in der Zeit von Mitte Oktober bis
Anfang Dezember 1998. In diesen Wochen befand sich die Bundesrepublik
Jugoslawien auf Friedenskurs. Die Tauben hatten dort offenbar die Oberhand
gewonnen. Es wäre nun erforderlich gewesen, auch die Kosovo-Albaner auf diesen
Weg zu bringen oder zu zwingen. Eine rasche, flächendeckende Stationierung der
OSZE-Mission hätte den Weg zum Frieden absichern können. Beides ist nicht
gelungen. Doch auch danach gab es immer wieder relative Ruhe und Chancen für
eine friedliche Lösung des Konflikts. Zwar zogen die Falken ab Dezember 1998
schon wieder ihre Kreise. Beide Konfliktparteien eskalierten die Gewalt. Die
UCK sah sich ihrem Ziel, das sie beharrlich verfolgt hatte, ganz nah: einem
Nato-Angriff auf die Bundesrepublik Jugoslawien. Die jugoslawischen Hardliner
zielten darauf ab, die UCK und ihre gesamte Infrastruktur zu eliminieren. Beide
Parteien nahmen auf die Zivilbevölkerung wenig Rücksicht, sie wurde für die
jeweiligen Zwecke instrumentalisiert. Eine von langer Hand vorbereitete
systematische Vertreibung der kosovoalbanischen Bevölkerung ist jedoch nicht
erkennbar. Die OSZE konnte die Konflikte immer wieder einhegen und die Lage von
Fall zu Fall stabilisieren. Doch ab Mitte Januar wuchs der Druck in Richtung
einer militärischen Lösung aus der Nato, allen voran die USA, rapide. ...
Außerdem konnte ja ein militärisches Eingreifen der Nato ohne UN-Mandat
faktisch einen Anspruch bestätigen, den die USA bisher in den Verhandlungen
über eine neue Bündnisstrategie noch nicht durchzusetzen vermocht hatten“.
Fazit Loquais zum Scheitern der OSZE-Mission
Brigadegeneral Loquai faßte seine Analyse in der
NDR-4-Sendung „Streitkräfte und Strategien“ am 22.5.99 folgendermaßen zusammen:
„Vertreibungen und Flüchtlingsströme setzten ein, nachdem die internationalen
Organisationen das Kosovo verlassen und die Angriffe begonnen hatten. D.h. der
Krieg verhinderte die Katastrophe nicht, sondern machte sie in dem bekannten
Ausmaß erst möglich. Die Frage, wie und warum die zweifellos vorhandenen
Chancen zum Frieden verspielt wurden, ist dabei nicht nur historisch
interessant. Sie ist wichtig für die zukünftige Gestaltung des Friedens in der
geplagten Region. Der Frieden wurde u.a. verspielt, – weil die meisten
NATO-Staaten einseitig Partei gegen die Serben und für die Kosovo-Albaner
nahmen. Hierdurch stärkte und ermunterte man die UCK, und man förderte selbst
bei gemäßigten Serben den Eindruck, dass die NATO ohnehin die Sache der Albaner
betreibe, – weil die Europäer den USA zu gefügig waren und den aufgebauten
Zeitdruck hinnahmen, ohne sich der all-mählichen Militarisierung der Politik zu
widersetzen. – weil die NATO glaubte, durch ihre Luftangriffe Milosevic
innerhalb kurzer Zeit zum Nachgeben zu zwingen und die Durchhaltefähigkeit
eines diktatorischen Regimes unterschätzte. – weil die politische und
militärische Führung der NATO außer acht gelassen hatte, dass der Einsatz
allein von modernen Kampfflugzeugen gegen bewegliche, aus guter Deckung
operierende Bodenziele risikoreich, aufwendig und von sehr begrenzter Wirkung
ist. Fahnenjunker lernen diese Binsenweisheit auf der Offizierschule.“
Ex-Nato-Generalsekretär Lord Carrington bestätigt Loquais ersten Satz: „Ich
glaube, dass die Bombenangriffe die ethnische Säuberung verursacht haben“ (in:
Sächsische Zeitung, 28./29.8.99).
Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.3.99
zur Situation im Kosovo
Dieter Lutz untermauert seine These von der
Abwendbarkeit des Krieges im Brief an Erhard Eppler auch mit der Lageanalyse
des Auswärtigen Amtes vom 19. März 1999: „Der Waffenstillstand wird von beiden
Seiten nicht mehr eingehalten.... Im Rahmen von lokalen Operationen der
jugoslawischen Armee (VJ) gegen die UCK kam es in den letzten Tagen auch
wiederholt zu vorsätzlichem Beschuß von Dörfern. Stets wurde zuvor die
Bevölkerung zum Verlassen der Ortschaften aufgefordert, was diese auch tat.
UNHCR und KVM (Kosovo Verifikations Mission der OSZE, Anm: C.R.) berichten
übereinstimmend über eine systematische Vorgehensweise der VJ bei der
Zerstörung von Dörfern mit dem Ziel, durch gezielte Geländebereinigung
sämtliche Rückzugsmöglichkeiten für die UCK zu beseitigen ... Die
Zivilbevölkerung wird, im Gegensatz zum letzten Jahr, in der Regel vor einem
drohenden Angriff durch die VJ gewarnt. Allerdings ist laut KVM die Evakuierung
der Zivilbevölkerung vereinzelt durch lokale UCK-Kommandeure unterbunden
worden. Nach Beobachtungen des UNHCR ebnet die VJ die Dörfer entgegen der
Vorgehensweise im letzte Jahr nicht völlig ein und zieht ihre Kräfte nach
Beendigung der Aktionen rasch wieder ab. Nach Abzug der serbischen
Sicherheitskräfte kehrt die Bevölkerung meist in die Ortschaften zurück. UNHCR
schätzt, daß bisher lediglich etwa 2.000 Flüchtlinge im Freien übernachten
müssen. Noch ist keine Massenflucht in die Wälder zu beobachten. Von Flucht,
Vertreibung und Zerstörung im Kosovo sind alle dort lebenden
Bevölkerungsgruppen gleichermaßen betroffen. Etwa 90 vormals von Serben
bewohnte Dörfer sind inzwischen verlassen. Von den einst 14.000
serbisch-stämmigen Kroaten leben nur noch 7.000 im Kosovo. Anders als im
Herbst/Frühwinter 1998 droht derzeit keine Versorgungskatastrophe“. Selbst wenn
inzwischen bekannt ist, daß Lageberichte des Auswärtigen Amtes bewußt geschönt
wurden, um Asylsuchende in Deutschland ablehnen zu können, enthält der Bericht
dennoch einige Fakten, die sich mit anderen Quellen decken und glaubwürdig
erscheinen.
Hufeisenplan, Massengräber und Opferzahlen
Zur Begründung des Nato-Angriffes wurde u.a. der
sogenannte „Hufeisenplan“ herangezogen. Mit seiner Hilfe verwiesen westliche
Politiker darauf, daß die Regierung Milosevic bereits lange vor dem Beginn der
Bombardierungen am 24.3.99 die systematische Vertreibung der albanischen
Kosovaren geplant gehabt hätte und die NATO einem Völkermord hätte zuvorkommen
müssen. Wie der Spiegel in seiner Ausgabe 2/2000 berichtete, „wurde der Plan
den Deutschen von Sofias Außenministerium zugespielt und stammt aus der
Giftküche des bulgarischen Geheimdienstes – die Bulgaren, einst berühmt für die
Regenschirm-Attentate ihrer Schlapphüte, bemühten sich während des
Kosovo-Krieges besonders um Nähe zur Nato: Sie wollen bald in die Organisation
aufgenommen werden“. „11.000 Tote in Massengräbern – Haager Tribunal legt Zahlen
aus Kosovo vor“, berichtete die FR am 3.8.99. Einen Tag später korrigierte sich
die Frankfurter Rundschau: „Kouchner habe nur eine mögliche Opferzahl genannt,
die auf Berichten über Massengräbern und Daten verschiedener Quellen basiere,
sagte seine Sprecherin ... Das Tribunal in Den Haag dementierte diese Angaben
noch am gleichen Abend und betonte, es habe bislang keine entsprechende Zahl
genannt“ (FR, 4.8.99). Nach der vorläufigen Bilanz des
UN-Kriegsverbrechertribunals wurden bis November 1999, als die internationalen
Gerichtsmediziner-Teams ihre Arbeit vorläufig beendeten, 2108 Leichen an 195
Stellen im Kosovo exhumiert (vgl. taz, 3.12.99). Dabei ist bis heute unklar,
welcher Seite die Getöteten angehören – und ob es sich um Opfer der serbischen
Polizei und Armee, der UCK oder der Nato handelt. Die Zahl der Todesopfer in
der übrigen Bundesrepublik Jugoslawien ist nach wie vor unklar. Eine erste
unabhängige Untersuchung der in New York ansässigen Menschenrechtsorganisation
„Human Rights Watch“ nennt nach umfangreichen Vor-Ort-Recherchen zwischen 488
und 527 getötete Zivilisten in Jugoslawien (taz, 8.2.99). In der Münsteraner
Universitätszeitung vom Oktober1999 berichtete der im Kosovo eingesetzte
deutsche Pathologe Dr. Klaus Teige, „daß er im Gegensatz zu den Meldungen in
den Medien im Kosovo keine Massengräber gesehen oder von ihnen gehört hat.
`Sämtliche Opfer waren alle einzeln in Plastiksäcken verscharrt worden´“. Nach
einer Definition des US-Außenministeriums gilt als Massengrab jede Grabstelle,
in der mehr als eine Leiche liegt (vgl. Morgenpost, 18.6.99). Am 3.12.99
erschien die „taz“ mit einer ganzen Seite unter der Überschrift: „Kosovo: Es
gibt keine Hinweise auf ein massenhaftes, systematisches Töten von Kosovo
Albanern. Das jedenfalls behaupten das US-amerikanische Stratfor-Institut und
spanische Pathologen, die im Auftrag des Kriegsverbrechertribunals Gräber
untersuchten“. Wie die Bilanz der UN zeigt, erwiesen sich bisher viele
geschätzte Opferzahlen der Nato wie auch der Gesellschaft für bedrohte Völker
als unrichtig, ebenso die behauptete Existenz von Konzentrationslagern. „Mit
den Flüchtlingen wurden politische Spielchen betrieben“ titelte „Die Welt“
bereits am 18.6.99 und ließ den deutschen Arzt Richard Munz, der im
mazedonischen Flüchtlingslager Stenkovac für insgesamt 60.000 Flüchtlinge
mitverantwortlich war, ausführlich zu Wort kommen: „Ich glaube, dass der
Flüchtling an sich für die Journalisten überhaupt nicht wichtig gewesen ist.
Die Einseitigkeit diente wohl nur dazu, die deutsche Beteiligung als Nato-Staat
irgendwie zu rechtfertigen und zu untermauern“. ...“Ich glaube sicher, dass es
Massaker gegeben hat. Ich bezweifle aber, ob man sich einen Gefallen tut, wenn
man ganze Dimensionen verschiebt. Man verglich diese Massaker auf eine Weise,
die so nicht angemessen ist. Zum Beispiel mit Auschwitz. Das wird man in
Zukunft wohl korrigieren müssen. Mit den Flüchtlingen wurden meiner Ansicht
nach politische Spielchen betrieben. Im Grunde hat man damit diese Menschen und
ihre realen Leiden ein Stück weit entwertet“.
Zeitpunkt der Kriegsentscheidung und Rolle
William Walkers
Am 12. Oktober 1998 gab Clintons Sicherheitsberater
Berger der Bundesregierung in Bonn 15 Minuten Zeit für eine Zustimmung zum
Krieg ohne UN-Mandat. Kurz nach der Zusage Bonns erging der NATO
Aktivierungsbefehl „ACTORD“. Es spricht eine Menge dafür, dass damit die
grundlegende Entscheidung zum Krieg bereits frühzeitig gefallen war. In einem
Interview der Mainzer Rheinzeitung (30.8.99) behauptete Willy Wimmer (CDU),
Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE: „Es gibt
undementierte Zitate, dass Gerhard Schröder im Oktober zu Joschka Fischer
sinngemäß gesagt hat: `Die Amerikaner wollen den Krieg. Wenn Du Außenminister
werden willst, musst du das mitmachen´. ... Es gibt auch andere Indizien für
diese Ausgangslage: Es gab zuvor NATO-Überlegungen, im Kosovo bis zu 200.000
Mann zu stationieren. Es galt also, den Anlaß zu finden. Das Elend haben wir
dann gesehen“. Die Wochenzeitung „Jungle World“ (30.6.99) fragte den gewöhnlich
gut informierten Johan Galtung: „Sie haben behauptet, die Entscheidung für den
Krieg sei im frühen Herbst des vergangenen Jahres gefallen“, worauf Galtung
antwortete: „Man nennt jetzt den August 1998, eine Sitzung des Republican
Foreign Policy Committee im amerikanischen Senat. Gerhard Schröder soll es im
Oktober erfahren haben. ... Das Republican Committee hat gesagt, man müsse
einen Anlaß haben. Und das müsse medial verwertbar sein, sonst ginge das nicht.
Also hat man gewartet bis Racak. ... Dazu muß man sich den Lebenslauf Walkers
(OSZE-Missionschef, Anm: C.R.) anschauen. Er war als CIA-Mann derjenige, der
die `schwarze Arbeit´ machte. Er war eine Woche vor dem Militärputsch 1987 auf
Fidschi, er war in El Salvador und Nicaragua, und er war derjenige, der Fakten
produziert hat, wodurch man die interventionistische Politik der USA
legitimieren konnte“. Wolfgang Petritsch, österreichischer Botschafter in
Belgrad, seit Oktober 1998 EU-Sondergesandter für das Kosovo, seit Juli 1999
Hoher Repräsentant der EU für den Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina, nannte
Walker „eine personalpolitische Fehlentscheidung“ und meinte in einem Interview
(„Jungle World, 7.7.99, „Walker war ein Cowboy“): „Vielleicht war Polen als
damaliger Vorsitzender der OSZE auch überfordert. Die Amerikaner haben ihnen
überall dreingeredet. Das habe ich auch spüren müssen: Als Richard Holbrooke
mit dem jugoslawischen Außenminister Jovanovic das Abkommen über die
Implementierung der OSZE geschlossen hat, rief er mich erst danach an. Obwohl ich
damals schon EU-Sondervermittler war. Dann kam ich mit dem russischen und dem
polnischen Botschafter zu ihm, und er hat uns vor vollendete Tatsachen
gestellt: Wir Amerikaner stellen den Head of Mission, und die Europäer und die
Russen können ja jeweils einen Stellvertreter für die Missionsleitung stellen.
Aber man muß auch den Europäern den Vorwurf machen, sich zu wenig engagiert,
zuwenig mitgestaltet zu haben. ... Es gibt eben eine Tradition der Amerikaner,
Militärs in Zivilkleider zu stecken, das gleiche gilt auch für die Briten“.
OSZE-Mission als „Trojanisches Spionage-Pferd“
Amerikanische und britische Special Forces, als
OSZE-Kontrolleure getarnt, haben die OSZE offensichtlich als „Trojanisches
Pferd“ benutzt (vgl. Intelligence, 31.4.99). OSZE-Mitarbeiter wurden von
US-Vertretern der Mission gebeten, das amerikanische Satellitensystem
„Geographic Positioning System“ (GPS) zu benutzen, mit dem man exakte
Positionsbestimmungen durchführen kann – zur eigenen Evakuierung wie auch zur
Zielmarkierung für Cruise Missiles. Der Schweitzer Geologe und OSZE-Beobachter
Pascal Neuffer erklärte: „Wir waren uns von Anfang an darüber im klaren, daß
die Informationen, die im Laufe unserer Mission bei den OSZE-Einsätzen
gesammelt wurden, die Satellitenbilder der NATO vervollständigen sollten. Wir
hatten den sehr scharfen Eindruck, für die Nato zu spionieren“ (in: K.
Bittermann/Th. Deichmann (Hg.), Wie Dr. Joseph Fischer lernte, die Bombe zu
lieben, Berlin 1999, S. 55).
Willy Wimmer zur OSZE-Mission
Willy Wimmer (CDU), Vizepräsident der
Parlamentarischen Versammlung der OSZE, kommt das Verdienst zu, gegen den
breiten „Medienstrom“ geschwommen zu sein. Bereits am 12.1.99 sagte er im
Deutschlandfunk: „Wir haben in den zurückliegenden Monaten, vielleicht
anderthalb Jahren gesehen, daß die Europäische Union mit ihrer Politik der
autonomen Maßnahmen gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien erfolgreicher war,
als befreundete Staaten das eigentlich haben wollten. Wir wären im März
vergangenen Jahres wesentlich weiter-gekommen, auch in Zusammenhang mit einer
Lösung die den Albanern im Kosovo entgegenkommt, wenn man die Europäische Union
einfach nur gelassen hätte. Aber hier durften bestimmte Ergebnisse
offensichtlich nicht erzielt werden, und deswegen ist das auch nichts geworden.
Das hängt nicht mit Herrn Milosevic zusammen. Das ist natürlich der böse Bube,
auf den man mit dem Finger zeigen kann. Das ersetzt nur keine Politik. ...
Möglicherweise – und dafür gibt es hinreichende Nachweise auf dem Balkan –
verfolgt man mit der Balkanpolitik ganz andere Ziele. ... Man sagt immer wieder
in Europa, die Europäer bringen nichts zustande, und deswegen müssen die
Vereinigten Staaten einspringen. Man muß oft den Eindruck haben, daß die
Europäer deshalb nichts zustande bringen dürfen, damit die Vereinigten Staaten
hier eingreifen können“. Wimmer kritisierte, „die Nato scheine `ja gerade
darauf zu warten´, eine militärische Intervention umsetzen zu können.
Washington und London wiederum hätten die Kosovo-Guerillatruppe UCK `ostentativ
nach vorne geschoben´ und damit `die ganzen europäischen Ansätze zur
Streitbeilegung an die Wand geschmissen´“ (SZ, 30.12.98).
Exkurs: Parallelen im Irak- und
Jugoslawien-Krieg
Die Parallelen zwischen UNSCOM in Irak und
OSZE-Kosovo-Mission, zwischen Richard Butler und William Walker, sind
frappierend. Am 16.1.98 schrieb die FAZ zur Tätigkeit der UNSCOM-Mitarbeiter:
„Landvermessen im Irak ergibt auch Zielkoordinaten für Marschflugkörper“. In
der FAZ vom 8.12.98 stand: „Die militärischen Ziele wurden schon seit langem mit
Hilfe von UNSCOM-Mitarbeitern, aber auch Foto-Satelliten ... sowie der
U-2-Spionageflugzeuge ausgewählt“. Grundlage der späteren Bombardierung war
auch dort das amerikanische Satellitensystem „Geographic Positioning System“
(GPS). Die Tendenz, UN- oder OSZE-Missionen als „trojanische Pferde“ für die
Kriegsvorarbeiter der jeweiligen nationalen Regierungen zu instrumentalisieren,
dürfte vermutlich auch einer der schwerwiegenden Gründe dafür sein, warum die
russische Regierung sich nicht auf die Internationalisierung bei der Suche nach
einer Konfliktlösung im Tschetschenien-Krieg, z.B. mittels einer OSZE-Mission,
einlassen möchte.
Oberstleutnant Jürgen Rose: Gründe für den
Angriff der Nato
Oberstleutnant Jürgen Rose, Mitarbeiter im Luftwaffenamt
der Bundeswehr, verfasste am 24.11.99 einen bemerkenswerten Beitrag in der
„Berliner Zeitung“, in dem er unter der Überschrift „Warum die Nato angriff“
die Hintergründe des Spannungsverhältnisses zwischen den USA und Europa
herausarbeitete: „Die Wirtschaftsmacht Europa dürfte zu einer ernsthaften
Herausforderung für die Hegemonialansprüche der Supermacht USA werden. Zudem
treibt die EU seit geraumer Zeit unter dem Rubrum der „Europäischen
Sicherheits- und Verteidigungsidentität“ den Aufbau eigenständiger
militärischer Kapazitäten voran. Forderungen nach der Gründung einer
europäischen Rüstungsagentur werden immer nachdrücklicher erhoben, und
gelegentlich werden auch schon Rufe nach einer gemeinsamen europäischen Armee
laut. In einer solchen Situation geoökonomischer Konkurrenz gepaart mit der
potenziellen Ablösung des Exklusivitätsstatus der Nato, bot und bietet sich für
die amerikanische Administration zwingend die Instrumentalisierung der
Konfliktlagen im südosteuropäischen Raum als effektive Option an: Der
unliebsame Konkurrent, der ein vitales Interesse an der Stabilität seines
„Hinterhofes“ haben muss, soll langfristig in dieser Region gebunden werden.
Nicht unerhebliche diplomatische, finanzielle und militärische Ressourcen der
EU sollen dort absorbiert werden, wo dies für die USA erstens kontrollierbar
geschieht und zweitens ihren Interessen nicht direkt zuwiderläuft. Auf längere
Sicht gilt es, der europäischen Wirtschaft neue Märkte zu erschließen, die
Region für die Integration in die EU vorzubereiten und nicht zuletzt den
Migrationsdruck in die hoch entwickelten Regionen Europas abzumildern. Mit dem
Interventionskrieg im Kosovo gelang es den USA in hervorragender Weise, die EU
intensiv und auf lange Zeit in die Konfliktlagen auf dem Balkan zu verstricken.
Indem die USA die Kompetenz für die operationelle Durchführung dieses Krieges
reklamierten, schoben sie zugleich den Europäern die Verantwortung für den
Wiederaufbau und die zukünftige Entwicklung der Region zu. Im Vergleich zu den
damit verbundenen Kosten –Schätzungen schwanken zwischen 35 und 100 Milliarden
Dollar– stellen die seitens der USA in diesen Krieg investierten Aufwendungen
–man spricht von vier Milliarden Dollar –in der Tat „Peanuts“ dar. (....)
Fazit: Der Interventionskrieg der Nato gegen Jugoslawien war mitnichten jener
rein humanitäre „Kreuzzug für die Menschenrechte“, als der er der
Weltöffentlichkeit verkauft wurde. Er war durchaus von harten realpolitischen
Interessenkalkülen determiniert. Letztere wurden allerdings von den beteiligten
Akteuren systematisch hinter den Argumentationswolken universeller Moral
verschleiert. Es zeigt sich zum wiederholten Male, dass es unter den
Bedingungen medialer Omnipräsenz stets die `Schlacht der Lügen´ ist, die einen
Krieg ent-scheidend prägt“ (BZ, 24.11.99). Die französische Regierung warf im
November 1999 „Washington vor, bei der Auswahl der Ziele und dem Einsatz von
modernen Waffen im Kosovo-Krieg die Nato-Partner wiederholt nicht informiert
und einen `eigenen Krieg´ neben den Einsätzen der Allianz geführt zu haben“
(FR, 12.11.99). Der ehemalige Berater von Ex-Präsident Carter, Zbigniew
Brzezinski, meint in seinem vielbeachteten Buch „Die einzige Weltmacht.
Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ (Weinheim/Berlin 1997, S. 92): „Tatsache
ist schlicht und einfach, dass Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa ein
amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und
Tributpflichtige von einst erinnern“. Wenig schmeichelhaft für Europa ist auch
die Aussage von Jesse Helms, Vorsitzender des Außenpolitischen
Senatsausschusses des US-Kongresses: „Bei allem Respekt ... Die Europäische
Union könnte sich noch nicht einmal aus einer nassen Papiertüte freikämpfen“
(in: Die Zeit, 4.6.98). Da die Nato-Europa-Staaten und die USA sowohl in der
Einwohnerzahl (USA: ca. 270 Mio., Nato-Europa ca. 300 Mio.) wie auch in der
Wirtschaftskraft (Bruttoinlandsprodukte bei je ca. 8 Billionen US-Dollar) nicht
sehr differieren, dürften die beiden letzten Aussagen eher Wunschdenken denn
Realität sein. Die europäische Union bräuchte nicht zwangsläufig den derzeit
eingeschlagenen Weg zur eigenständigen militärischen Festung nehmen, sondern
könnte allein auf Grund ihrer wirtschaftlichen Stärke ein enormes ziviles
Potenzial in den internationalen Beziehungen entfalten. Der in den USA sehr
bekannte Schriftsteller Gore Vidal sieht Europa vor einer grundlegenden
Herausforderung: „Für die Europäer ist jetzt die Zeit gekommen, sich von ihren
amerikanischen Herren zu befreien. Es gibt Momente, wo Imperien ihre Energien
verlieren und symbolisch werden“ (in: Die Woche, 17.7.98). Ein solcher
historischer Moment war möglicherweise der 11./12.6.99, die überraschende
Besetzung des Flughafens von Pristina durch 200 russische Soldaten, als der
britische General Michael Jackson „dem alliierten Oberbefehlshaber General
Wesley Clark entgegnete, er sei nicht bereit den Dritten Weltkrieg durch die
Eroberung des Flugplatzes und das Werfen der russischen Truppen zu beginnen.
Auch nach Billigung des Plans durch das Pentagon teilte er kurz und bündig mit,
seine Ansicht würde sich nur ändern, wenn man bereit sei `ganze Haufen toter
Russen in Kauf zu nehmen´. Trotz dieser beharrlichen Befehlsverweigerung hat
Jackson sein Kommando immer noch inne, während Clark von der Position des
Oberkommandierenden früher als eigentlich geplant angeliftet wurde“, berichtete
das internationale Militärmagazin „Barett“ Nr. 4/99, S.18. Für das
euro-atlantische Verhältnis bleibt weiterhin maß-gebend, dass die USA mit ihrem
ca. 5/8-Anteil an den Militärausgaben aller Nato-Staaten noch auf längere Zeit
ein erdrückendes Übergewicht gegenüber den Europäern mit insgesamt zusammen ca.
3/8-Anteil behalten – und militärtechnologisch weiter davonziehen werden. Von
den 50 größten Unternehmen weltweit befanden sich 1999 immerhin 33 in den USA,
die zusammen 71,8% der Börsenkapitalisierung der Top-50 hielten. Von den 200
größten multinationalen Konzernen weltweit lagen 1998 74 in den USA, in denen
52,7% aller Gewinne der Top-200 erlöst wurden (Angaben nach „Le Monde
Diplomatique“, Dez. 1999).
Die außenpolitische US-Doktrin
Roses Grund-Thesen, die er in seiner sehr lesenswerten
Studie „Amerika, das Rom der Moderne?“ (hg. In Zusammenarbeit mit der
Informationsstelle Wissenschaft und Frieden in Bonn, Juni ´99) ausführlicher
belegt, hat bereits 1993 Alfred Mechtersheimer folgendermaßen beschrieben: „Am
8. März 1992 veröffentlichte die New York Times Auszüge aus einem geheimen
Pentagon-Papier, in dem genau das, was Kritiker den USA unterstellt hatten, nun
als die amtlichen Ziele der Administration formuliert waren: `Wir müssen
versuchen zu verhüten, daß irgendeine feindliche Macht eine Region dominiert,
deren Ressourcen – unter gefestigter Kontrolle – ausreichen würden, eine
Weltmachtposition zu schaffen´. Die angestrebte neue Weltordnung entpuppte sich
als ein nationalistisches Machtkonzept. Das Papier, bei dem es sich um den
Entwurf einer „Defense Planing Guidance“ für die Haushaltsjahre 1994-1999
handelte, liest sich wie eine prophylaktische Kriegserklärung gegenüber potentiellen
Konkurrenten: `Wir müssen unsere Strategie jetzt darauf konzentrieren, dem
Aufstieg jedes möglichen Konkurrenten globaler Dimension zuvorzukommen´. In
Tokio und Bonn, wo man sich angesprochen fühlte, hatte diese machtpolitische
Offenbarung wie ein Schock gewirkt, was zeigt, dass man auch dort auf die
feierlichen Erklärungen von Präsident Bush über die `neue Weltordnung
hereingefallen war, obwohl dieser bereits am 2. August 1990 in Aspen (Colorado)
– wegen des Beginns der Kuwait-Krise von niemand beachtet – erklärt hatte, dass
keine Region der Welt von einer Amerika feindlich gesinnten Macht kontrolliert
werden dürfe“ (in: A. Mechtersheimer, Friedensmacht Deutschland, Frankfurt
1993, S. 58f). Der US-Politologe und Kriegsforscher Professor Daniel Kolko
meinte am 8. Mai 1999 im „Berliner Tagesspiegel“: „Bei der Entscheidung der
Amerikaner, den Krieg zu führen, spielte die spezielle Situation im Kosovo nur
eine untergeordnete Rolle. Für die USA ging es darum, militärische Macht zu
demonstrieren und ihre Vormachtstellung
in der Nato auszubauen“. Thomas Friedmann, Berater von US-Außenministerin
Madeleine Albright, brachte am 28.3.99 in der New York Times die derzeitige
US-Politik auf folgenden Punkt: „Damit der Globalismus funktioniert, darf
Amerika sich nicht scheuen, als die allmächtige Supermacht aufzutreten, die es
ist. Die unsichtbare Hand des Marktes wird nie ohne eine unsichtbare Faust
funktionieren. McDonald kann nicht ohne den F-15-Konstrukteur McDonell Douglas
florieren. Und die unsichtbare Faust, die dafür sorgt, dass die Welt für
Silicon Valley Technologien sicher ist, heißt Heer, Luftwaffe, Marine und
Marineinfanterie der USA“ (zit. nach: Kosovo, Jugoslawien, Nato, hg. vom
Komitee für Grundrechte und Demokratie, Köln 1999, S.29f). Für ihre unsichtbare
Faust bauen die USA im Kosovo in „ihrem“ Sektor derzeit sehr sichtbar die
größte Luftwaffenbasis in Südeuropa.
Die wichtigsten Gründe für den
Kosovo-/Jugoslawienkrieg in Kurzform
Nach allen bisher genannten Quellen müssen andere als
die von Nato-Seite angegeben Gründe den Ausschlag für die Bombardierungen
gegeben haben. Zu diesen dürften mit unterschiedlichem Gewicht stichwortartig
folgende gehören: 1. Testlauf der neuen Nato-Doktrin: Erster Militäreinsatz
ohne UN-Mandat 2. Durchsetzung des weltweiten Führungsanspruches der Nato unter
US-Führung bei gleichzeitiger Ausschaltung von OSZE und UNO 3. Konkurrenz
zwischen USA und Europa, Dollar und Euro; Desintegration Europas durch die USA
bei gleichzeitiger Erschwerung bzw. Verhinderung der Zusammenarbeit
Berlin-Moskau 4. Sicherung der Existenzberechtigung der Nato und Auslastung der
Rüstungskapazitäten 5. Testfall für Krieg der US-Luftwaffe bei scharfer
Konkurrenz um Haushaltsmittel zwischen Luftwaffe, Heer und Marine 6.
Verhinderung neuer Flüchtlinge und deren Kosten in Westeuropa 7. Möglicher
Präzedenzfall für künftige Konflikte im Kaukasus 8. „Disziplinierung“ des
„Fremdkörpers“ Serbien als letztes mit Rußland und China verbundenes Land in
Europa, das sich Globalisierung widersetzt hat 9. Nach Irak-Bombardierung durch
Unterstützung der albanischen Muslime Sammeln neuer „Pluspunkte“ in der
(ölreichen) arabischen Welt Bei genauerer Analyse sind beim
Jugoslawienbombardement 1999 zwei Kriege zu unterscheiden, die nur begrenzt
etwas miteinander zu tun hatten und aus sehr unterschiedlichen Motiven geführt
wurden: Erstens der Krieg zwischen serbischer und albanischer Seite und
zweitens ein sehr komplexer verdeckt geführter Krieg mit unterschiedlichen
Teilkoalitionen zwischen den USA, Europa, Russland und China aus
geostrategischen Machtüberlegungen. Die chinesische Botschaft sei – laut
britischem „Observer“ (16./17.10.99) – von den USA bewußt bombardiert worden,
da über das Botschaftsgebäude jugoslawische Armeekommunikationen übertragen
worden seien. Historiker werden sich vermutlich irgendwann darüber streiten, ob
das größere Verbrechen dieser sich überlagernden Kriege – abgesehen von den
jeweiligen Menschenrechtsverletzungen vor Ort – die Nato-Bombardierungen mit
ihren furchtbaren Folgen waren oder die aktive Behinderung der OSZE bei einer
diplomatischen Lösungssuche vor allem durch die amerikanische Regierung, wobei
die OSZE bei Nichtbehinderung möglicherweise die serbisch-albanische
Auseinandersetzung ohne Eskalation hätte beilegen können.
Zur Rolle der Bündnis-Grünen und der SPD
Als Bill Clintons Sicherheitsberater Berger am
12.10.98 der zwar gewählten, aber sich noch nicht im Amt befindenden neuen
Regierung den „Lackmus-Test“ der Bündnistreue abverlangte, legte er damit einen
friedenspolitischen Sprengsatz an Rot-Grün. Für Gerhard Schröder und Joschka
Fischer stellte sich die Frage, einen erheblichen Konflikt mit den USA zu
riskieren und damit die Koalition möglicherweise noch vor Amtsantritt platzen
zu lassen. Erich Schmidt-Eenboom, Leiter des Forschungsinstitutes für
Friedenspolitik in Weilheim, der insbesondere auch die Rivalitätskämpfe
zwischen deutschen und amerikanischen Geheimdiensten bei der Ausstattung der
UCK (vgl. FR, 25.9.98) untersucht hat, meint: „Ein grünes Parteivolk in diese Hintergründe und die
Komplexität der Machtspiele im Kosovokrieg einzuweihen, und dabei in aller
Offenheit den Schritt zu einer `normalen´ Partei zu vollziehen, wäre für den
Außenminister einem politischen Selbstmord gleichgekommen. ... Rächen könnte
sich die Fixierung auf den kategorischen Imperativ eines um jeden Preis
Menschlichkeitherbeibombens, wenn die klandestinen Manöver der Beteiligten
klarere Konturen bekommen und unterdrückte Fakten in die Öffentlichkeit
brechen“ (in: K. Bittermann/T. Deichmann (Hg.), Wie Dr. Joseph Fischer lernte,
die Bombe zu lieben, Berlin 1999, S. 112).Ob Gerhard Schröder – konfrontiert
mit allen bishergenannten Quellen – immer noch die Ansicht vertreten würde,
dass der Einsatz der Bundeswehr geeignet ist, „die `historische Schuld´
Deutschlands auf dem Balkan verblassen zu lassen“ (FR, 24.7.99)? Etwas anders
beurteilte Gerhard Schröders SPD-Vorgänger, Altbundeskanzler Helmut Schmidt,
der die deutsche Kriegsbeteiligung für nicht zu rechtfertigen hielt, den ersten
Kriegseinsatz nach 1945: „Gegängelt von den USA haben wir das internationale
Recht und die Charta der Vereinten Nationen missachtet“ (FR, 3./4.4.99).
Dringend notwendig: Noch Schlimmeres jetzt
verhindern!
Die Zerstückelung des von Nato- und
Nato-Partnerschaft-für-den-Frieden-Staaten umgebenen letzten „Fremdkörpers“
Bundesrepublik Jugoslawien ist aus Nato-Sicht noch nicht abgeschlossen. Trotz
Einführung der D-Mark ist das Kosovo zumindest offiziell immer noch Teil der
Bundesrepublik Jugoslawien. Diese Ungeklärtheit macht nach wie vor beiden
Seiten Hoffnungen, wenn auch sehr viel geringere in Belgrad. Eine baldige
wirkliche Lösung zu finden, ohne neue Gewalteskalationen auszulösen, wäre eine
dringend notwendige Aufgabe. Die Einführung der D-Mark weist schon jetzt
deutlich auf die staatliche Eigenständigkeit als vorweggenommene Entscheidung
hin – kann aber im Sinne einer langfristigen Friedensordnung in der Region
nicht als Stabilitätsfaktor angesehen werden. Wenn im Sommer 2000 die Belgrader
Regierung von ihrem vertraglich zugesicherten Recht Gebrauch machen wird,
serbische Polizisten zum Schutz ihrer Landsleute ins Kosovo zu entsenden, wird
dies vermutlich zu neuen Auseinandersetzungen mit der Nato führen. Eine Klärung
dieser Frage ist jetzt herbeizuführen, solange noch kein Zeitdruck besteht.
Nach der Einführung der D-Mark als zweite Parallelwährung auch in Montenegro am
3.11.99 (vgl. FAZ, 18.1.99) stellt sich akut die Frage nach der Zukunft dieser
Republik. Nach einer in „Monitor“ am 22.4.99 gezeigten US-Militärkarte war
Montenegro bereits als eigenständiger Staat eingezeichnet. Für den Fall einer
Abtrennung Montenegros ist mit einem weiteren Krieg zu rechnen. Alle Anzeichen
deuten derzeit auf Sturm. Im Frühjahr 2000 steht der Region möglicherweise ein
neuer Waffengang bevor. Die Vojvodina mit ihrer ungarischen Minderheit wird
wohl aus Rücksicht auf das neue Nato-Mitglied Ungarn noch etwas länger von
einer Abtrennung verschont bleiben.
Ausblick
An das Ende dieses Beitrages möchte ich einige
Vorschläge stellen, die im Sinne einer Deeskalation der Region sinnvoll wären,
derzeit aber noch kaum angepackt werde. Vor Ort könnten folgende Maßnahmen
eingeleitet werden:
1.Wiedergutmachung der
angerichteten Schäden (Gerechtigkeit statt Almosen)
2.Unterstützung der Flüchtlinge
(z.B. über Diakonisches Werk und Caritas)
3.Psychosoziale Hilfe für Traumatisierte (z.B. wie Medica in Bosnien)
4.Unterstützung von Friedens-
und Menschenrechtsgruppen (z.B. des Balkan Peace Teams)
5.Einrichtung von Wahrheits-
und Versöhnungskommissionen (nach südafrikanischem Vorbild)
6.Arbeitsprogramme zur zivilen
gesellschaftlichen Wiedereingliederung von Soldaten
7.Aufhebung der Isolation
Serbiens (z.B. durch Aufnahme in die OSZE und Aufhebung des
Wirtschaftsembargos)
8.Einrichtung einer Balkan-Konferenz
(nach KSZE/OSZE-Vorbild)
In Deutschland sehe ich Handlungsbedarf auf folgenden
Arbeitsfeldern:
1.Aufarbeitung des Krieges und
Wahrheitssuche
2.Kritischer Dialog mit Presse
und Politik
3.Verurteilung aller
Kriegsverbrecher (auf albanischer, serbischer und Nato-Seite)
4.Einrichtung einer unabhängigen Informationsstelle für kirchliche und gewerkschaftliche Entscheidungsträger für künftige Krisen und Kriege
5.Unterstützung präventiver
Krisen- und Konfliktmaßnahmen(z.B. durch ZFD-Projekte)
6.Partnerschaften zwischen
Kirchen, Gewerkschaften, Vereinen, Städten, Universitäten in Deutschland und in
Serbien oder/und Kosovo
7.Erziehung zu Angstfreiheit
und Zivilcourage in Familie, Kirche und Schule
8.„Leiden am Wirklichen und
Leidenschaft für das Mögliche“ (Definition des Begriffs „Hoffnung“ von Sören
Kierkegaard)
Helmut Schmidt sagte vor einigen Monaten: „Ich
bin besorgt, dass die Welt allenthalben aus den Fugen gerät und dass die
politische Klasse nicht willens und fähig ist, dem entgegenzusteuern“ (zit.
nach Dieter S. Lutz, Krieg ist das Versagen der Politiker, in: Supplement der
Zeitschrift Sozialismus, 5/99). Wenn schon die politische Klasse versagt,
bleiben hoffentlich andere Akteure wie z.B. internationale
Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften oder Kirchen – unterstützt von
der Zivilgesellschaft insgesamt – wachsam beim Gegenlenken.
Clemens Ronnefeldt,
Referent für Friedensfragen beim internationalen Versöhnungsbund, deutscher
Zweig, 10. Februar 2000
Chronologie wichtiger Ereignisse im
Kosovo-/Jugoslawienkrieg ab März 1998
März
1998: Militäraktionen der serbischen Polizei in der
UCK-Hochburg Srbica mit mehreren Dutzend albanischen Toten
März
1998: Protokoll-Unterzeichnung zwischen serbischer Führung
und Kosovo-Albanern über die Rückkehr aller Albaner an Schulen und
Universitätsgebäude bis Mitte 1998
Juni
1998: UNHCR schätzt 50.000 Flüchtlinge, Androhung einer
Nato-Intervention
Juni
1998: Amnesty International beschuldigt nach Kosovo-Besuch
auch UCK „übermäßiger Gewaltanwendung“, ca. 40% des Kosovo unter Kontrolle der
UCK
Ende
Juni-Oktober 1998: Großoffensive serbischer Truppen,
Zurückeroberung aller Gebiete, UCK zieht sich nach Albanien zurück, ca. 300.000
vorwiegend albanische Flüchtlinge fliehen nach Albanien, Montenegro, serbische
Flüchtlinge nach Serbien
August
1998: UN-Generalsekretär Kofi Annann kritisiert Nato und EU,
nichts zur Durchsetzung des Waffenembargos getan zu haben und Mitschuld an der
Eskalation zu tragen
12.
Oktober 1998: Clintons Sicherheitsberater Berger gibt der Bundesregierung
in Bonn 15 Minuten Zeit für eine Zustimmung zum Krieg ohne UN-Mandat. Kurz nach
der Zusage Bonns ergeht der NATO Aktivierungsbefehl „ACTORD“
13.
Oktober 1998: Holbrooke-Milosevic-Abkommen über die Stationierung
von 2000 OSZE-Beobachter; fast alle Flüchtlinge kehren zurück, in ihrem
Schatten die UCK
16.
Oktober 1998: Bundestag stimmt Nato-Einsatz ohne UN-Mandat zu
November
1998: Die UCK läßt mit militärischen Aktionen auf serbische
Familien und Polizeistationen die Situation eskalieren, serbische MUP schlägt
brutal zurück
16.
Januar 1999: Nach Kämpfen zwischen UCK und serbischen Streitkräften
werden 45 Albaner tot aufgefunden, OSZE-Chef Walker spricht von Massaker an
Zivilisten
–Untersuchungsbericht
bleibt geheim
6.-23.
Februar 1999: Rambouillet-Verhandlungen ohne Ergebnis, Serbien lehnt
NATO-Truppen in der BR Jugoslawien und Kosovo-Referendum ab
15.-18.
März 1999: Paris-Verhandlungen: Kosovo-Albaner unterzeichnen
Abkommen, Serben nicht
24.
März 1999: Beginn des Nato-Krieges gegen Jugoslawien, Beginn der
Gewaltexzesse serbischer Milizen und Polizei, 860.000 Flüchtlinge fliehen in
Nachbarstaaten
Anfang
Mai 1999: EU-Gipfel in Bonn, Verständigung über „Fischer-Plan“
unter Einbeziehung Rußlands und Rückkehr zur UN-Zuständigkeit
8. Mai
1999: Beschuß der chinesischen Botschaft, 3 Tote chinesische
Journalisten
11.
Mai 1999: Besuch Schröders in China zur Erreichung der
Zustimmung oder Enthaltung Chinas im UN-Sicherheitsrat
3.
Juni 1999: Die jugoslawische Führung stimmt dem G7/8-Plan zu
10.
Juni 1999: Die Nato beschließt die Einstellung der Luftangriffe
11.
Juni 1999: Russische und Nato-Truppen marschieren ins Kosovo ein
11./12.
Juni 1999: Nato Oberbefehlshaber Clark gibt des Befehl, 200
russische Soldaten
anzugreifen, die den Flughafen bei Pristina unter ihre Kontrolle gebracht haben. Der britische KFOR-General Jackson verweigert die Ausführung des Befehls mit der Begründung, daß dies nicht den Beginn des Dritten Weltkrieg rechtfertigen würde
August
1999: In den ersten 7 Wochen nach KFOR-Stationierung werden
164.000 Serben nach Angaben des UNH-CR vertrieben, ihre Häuser angezündet und
gebrandschatzt. Von geschätzten 120 -150.000 Roma vor dem Krieg werden ca.
60-75.000 bis November 1999 vertrieben, die Häuser ebenfalls zerstört und
geplündert.
Herbst/November
1999: Die D-Mark wird als offizielles Währungsmittel im
Kosovo, als offizielle Zweitwährung in Montenegro eingeführt.
Hinweise:
Die vollständigen Interviews mit Willy
Wimmer, Johan Galtung und Wolfgang Petritsch sowie der Brief von Dieter
Lutz an Erhard Eppler und der Text von Jürgen Rose sind gegen
Vorab-Zusendung von 3,– DM in Briefmarken erhältlich bei: Clemens
Ronnefeldt, Versöhnungsbund-Referat, Dorfstr. 3, 56288 Krastel,
Tel. 06762-2962, Fax: 06762-950511,
E-mail: BuC.Ronnefeldt@t-online.de, Homepage: http://www.versoehnungsbund.de
Spendenkonto für die Arbeit des Friedensreferates: Versöhnungsbund
e.V., Konto-Nr. 400 906 72 bei der Sparkasse Minden-Lübbecke (BLZ 490 501 01),
Stichwort: „Friedensreferat“ Dieser Text kann als PDF-Dokument
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werden unter http://www.muenster.de/~cviento/kosovo/auswertung_clemens.pdf
Literatur- und Quellenhinweise:
• Joachim Hösler/Norman Paech/Gerhard Stuby, Der
gerechte Krieg? Neue NATO-Strategie, Völkerrecht und Westeuropäisierung des
Balkans, Donat-Verlag, Bremen 2000.
• Klaus Bittermann/Thomas Deichmann (Hg.), Wie Dr.
Joseph Fischer lernte, die Bombe zu lieben. Die Grünen, die SPD, die Nato und
der Krieg auf dem Balkan, Edition Tiamat, Berlin 1999.
• Jürgen Elsässer (Hg.), Nie wieder Krieg ohne uns,
Hamburg: KVV Konkret 1999
• Hannes Hofbauer (Hg.), Balkan-Krieg. Die Zerstörung
Jugoslawiens, Wien 1999.
• Ulrich Albrecht/Paul Schäfer (Hg.), Der
Kosovo-Krieg. Fakten, Hintergründe, Alternativen, Papyrossa Verlag, Köln 1999.
• Winfried Wolf, Bombengeschäfte. Zur politischen Ökonomie
des Kosovo-Krieges, Konkret Literatur
Verlag, Hamburg 1999.
• U. Cremer/D.S.Lutz (Hg.), Nach dem Krieg ist vor dem
Krieg, Hamburg 1999.
• T. Schmid (Hg.), Krieg im Kosovo, Rowohlt-Verlag,
Reinbek 1999
• L. Janus/W. Kurth (Hg.), Psychohistorie, Gruppenphantasien
und Krieg, Heidelberg, 2000. (Darin besonders interessant: Winfried Kurth,
Psychische Hintergründe der deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg)
• Das Manuskript der Sendung „Streitkräfte und
Strategien“(mit den Aussagen Brigadegeneral Loquais), NDR 4, vom 22.5.99 ist
(kostenlos) zu beziehen bei: NDR-Redaktion Sicherheitspolitik,
Rothenbaumchaussee 132-134, 20149 Hamburg, Fax: 040-447602
• Das Manuskript der Sendung „Kritisches Tagebuch, WDR
3, vom 10.11.99 (Das Gerücht als Waffe – Die Rolle der Medien im Kosovo-Krieg)
ist (kostenlos)erhältlich bei: WDR 3, Appellhofplatz 1, Postfach 101950, 50600
Köln, Fax: 0221-220-4800.